Sollen sich Finanzinvestoren an einer anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaft beteiligen dürfen? Diese Frage wurde in Luxemburg am 30.04.2024 bei der mündlichen Verhandlung vor dem Großen Senat des EuGH diskutiert. Wir haben berichtet: https://www.linkedin.com/feed/update/urn:li:activity:7191071440174030854.
Am 04.07.2024 hat der Generalanwalt seine Schlussanträge gestellt, die auf der Website des EuGH veröffentlicht wurden: CURIA - Dokumente (europa.eu).
Er hat in seiner Begründung darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten bei der Regelung des Anwaltsberufs über einen weiten Spielraum verfügen. Aufgrund dieses Spielraums seien sie berechtigt, anwaltliche Berufsausübungsgesellschaften bestimmten Beschränkungen zu unterwerfen. Er erachtet es für zulässig, dass Mitgliedstaaten die Ausübung des Anwaltsberufs durch Kapitalgesellschaften grundsätzlich verbieten und die anwaltliche Zusammenarbeit auf Personengesellschaften beschränken. Ebenso seien die Mitgliedstaaten, die sich für die Zulassung von Kapitalgesellschaften entscheiden, befugt, bestimmte Bedingungen für die Gestaltung und Funktionsweise solcher Gesellschaften festzulegen. So habe der EuGH bereits entschieden, dass eine nationale Regelung mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sei, nach der nur Apotheker Gesellschafter von Gesellschaften zum Betrieb von Apotheken sein können. Dies gelte auch für Rechtsanwälte.
Soweit die Bundesrepublik Deutschland aber die Gründung und Niederlassung von Kapitalgesellschaften mit berufsfremden Gesellschaftern zulässt, müssen Beschränkungen der freien Ausübung der Tätigkeit solcher Gesellschafter die Vorgaben und den Prüfungsmaßstab der Niederlassungsfreiheit von Dienstleistern nach Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie einhalten.
Die deutschen Beschränkungen in der BRAO müssten daher kohärent sein und mit den Gründen des Allgemeininteresses, die sie rechtfertigen, in Einklang stehen. Den Vorgaben in der BRAO in der Fassung vor dem 01.08.2022 fehle es jedoch an der erforderlichen Kohärenz, da sie die Beteiligung an einer anwaltlichen Gesellschaft auf bestimmte Berufsgruppen beschränkt hat. Es lasse sich nicht erkennen, warum andere Berufe, deren Mitwirkung bei der Rechtsberatung ebenso relevant sein könnte, nicht zum Kreis der in der BRAO aufgeführten Berufe gehören. Darüber hinaus hält der Generalanwalt das Erfordernis einer aktiven Mitarbeit von Gesellschaftern in der BRAO für zu allgemein und nicht konkret genug. Schließlich wendet er sich auch gegen das bis 01.08.2022 geltende Gebot, wonach die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmrechte Rechtsanwälten zustehen musste. Er führt aus, dass die vom deutschen Gesetzgeber geschaffene Regelung die nicht-anwaltlichen Gesellschafter nicht daran hindern könne, die Entscheidungen der Gesellschaft zu beeinflussen, was die Unabhängigkeit der Rechtsanwälte gefährde. Nach seiner Ansicht müssten die vorbeugenden Maßnahmen eher verstärkt werden, um von vornherein unmittelbare oder mittelbare Angriffe auf die Unabhängigkeit der Rechtanwälte zu verhindern - und zwar unabhängig vom Prozentsatz der Stimmrechte, die von Angehörigen anderer Berufe gehalten werden. Es sei daher Sache des nationalen Gesetzgebers, eine einschlägige normative Lösung zu konzipieren, die es verhindert, dass berufsfremde Investoren die Entscheidungen der Rechtsanwaltsgesellschaft unmittelbar beeinflussen können.
Der Generalanwalt hat somit nicht das Ziel der Regelung, die Unabhängigkeit der Anwaltschaft zu sichern, beanstandet. Vielmehr lassen seine Ausführungen erkennen, dass er deutlich strengere Regelungen für angemessen erachtet. Er führt in seiner Begründung aus, dass es seines Erachtens Vorschriften geben müsse, die verhindern, dass berufsfremde Investoren die Entscheidungen einer Rechtsanwaltsgesellschaft unmittelbar oder mittelbar beeinflussen können, wenn die Unabhängigkeit der Rechtsanwälte und der Schutz der Interessen ihrer Mandanten auf dem Spiel stehen.
Das Verfahren betrifft die Rechtslage vor der großen BRAO-Reform, die das anwaltliche Gesellschaftsrecht zum 01.08.2022 grundlegend geändert hat. Inwiefern die Ausführungen des Generalanwalts auch auf die seit dem 01.08.2022 geltende Rechtslage angewendet werden können, ist unklar.